Christian Fuchs - Informations- und Kommunikationstechnologien im Kontext der kontrollgesellschaftlichen Umstrukturierung

Abstract:

Die Tendenz zur Kontrollgesellschaft bringt eine verstärkte Substitution von äußeren Disziplinen durch innere Kontrollen mit sich, partizipatorisches Management wurde zum modernen Trend in der Organisations- und Managementtheorie und in der Managementkybernetik.

I&K-Systeme spielen dabei innerbetrieblich die Rolle der Kommunikationsorganisation in neuen Strukturen wie teilautonomen Arbeitsgruppen und Spinnennetzorganisationen, die verstärkt auf Partizipation setzen. Interorganisational ist die Tendenz zu "vertrauensbasierten" Unternehmensnetzwerken festzustellen.

Im Rahmen der ökonomischen Globalisierung, die als Phänomen der Trias Postfordismus/Neoliberalismus/Kontrollgesellschaft begriffen wird, sind I&K-Systeme ein Mechanismus zum sogenannten "re-embedding" (Giddens), dem Wiedereinlagern von raum-zeitlich entfernten Beziehungen Sie sind Medium und Resultat der ökonomischen Globalisierung und spielen eine wesentliche Rolle bei der weltweiten Vermarktung von Informationsprodukten in der globalisierten "Informationsökonomie"

I&K-Systeme könnten jedoch auch neue Disziplinierungen schaffen, innerbetrieblich und auf staatlicher Ebene. Auf letzterer werden sie bereits als Absicherungsmechanismen eingesetzt.

1. Fordismus und Postfordismus

Das Gesellschaftsmodell, das nach dem 2. Weltkrieg bis in die 70er Jahre den Kapitalismus prägte, war der Fordismus: Er basiert auf der tayloristischen, fabriksmäßigen Massenproduktion, Arbeitsabläufe wurden zerlegt und es wurde versucht, sie mittels Zeit- und Bewegungsstudien zu optimieren.

Der Fordismus entwickelte sich zu einer Organisationsform des Lebens, die auch gern als "american way of life" bezeichnet wird und die sich durch Elemente wie Massenkonsum, Geldausgeben statt Sparsamkeit, Wegwerfprodukte, schnelle Befriedigung von Bedürfnissen und Erzeugung von immer neuen Bedürfnissen charakterisieren läßt. Um die physische und psychische Existenz der Arbeitenden zu erhalten wurden kollektive soziale Schutzmechanismen notwendig. Dies führte in unterschiedlicher Intensität in den einzelnen kapitalistischen Zentren zum Aufbau des Wohlfahrtsstaates und war verbunden mit der Etablierung des Keynesianismus als Regulationsmodell.

Im Sinne der Regulationstheorie (Vgl. z.B. Hirsch 1986, 1995, 1998) könnte der Einheit von jeweiligem Akkumulations- und Regulationsmodell in einer gewissen historischen Periode des Kapitalismus ein Disziplinarmodell zugerechnet werden: Im Fordismus war letzteres in Form der "Disziplinargesellschaft" realisiert: Michel Foucault geht davon aus, daß der nach der kapitalistischen Produktionsweise organisierte Staat nicht bestrebt ist, dem Individuum größtmögliche Freiheiten zu gewähren, sondern es möglichst umfassend zu disziplinieren und zu kontrollieren. Das heißt, daß das Leben der Menschen nach dem Modell Geburt-Kindheit-Ausbildung-Arbeit-Pension-Tod gestaltet werden soll und daß sie durch "Einschließungsmilieus" wie Familie, Schule, Fabrik, Universität, Militär, Gefängnis, Psychiatrie oder Büro einer ständigen Disziplinierung, Kontrolle und Regelmentierung ausgesetzt sein sollen (siehe Foucault 1976a, 1976b, 1978). Der Fordismus war also immer verbunden mit einer ständigen Drangsalierung und Kontrolle der Körper.

Nach der Weltwirtschaftskrise in den 70er-Jahren setzte sich ausgehend von den USA und Großbritannien ("Reagonomics", "Thatcherism") eine Akkumulationsweise (mit dem "Neoliberalismus" als entsprechender Regulationsweise) im Kapitalismus durch, die von vielen als "Postfordismus" bezeichnet wird: Griff der Staat im Fordismus im keynesianischen Sinn durch Subventionspolitik in die Wirtschaft ein, so wurde nun der freie Markt in seiner reinen, ungehemmten Form als Mittel zur Vermeidung von Wirtschaftskrisen propagiert. Effekte des Neoliberalismus sind u.a. die Drosselung von Sozialleistungen, eine immer stärker werdende Umverteilung von unten nach oben, drastische Zunahme der Armut, Rationalisierung, Senkung der Löhne, "flexible" Arbeitszeiten und massive Freisetzung von Arbeitskräften.

In der Ära der vielbeschworenen "Globalisierung" oder des Neoliberalismus gibt es scheinbar eine Tendenz hin zu einem neuen Disziplinarmodell, der von Gilles Deleuze so benannten "Kontrollgesellschaft" (Vgl. Deleuze 1993, Holert/Terkessidis 1996): Die Arbeit soll den Arbeitenden Spaß machen, sie sollen sich selbst und ihre Ideen einbringen können, kreativ und selbständig sein, es wird ihnen ein hohes Maß an eigener Entscheidungs-Kompetenz und Möglichkeit zugestanden, es kommt scheinbar zu einer Enthierarchisierung: nicht mehr Zwang und die Drohung mit dem Rausschmiß stehen im Vordergrund, sondern die Schaffung von verlangter Identifikation der Arbeitenden mit dem Unternehmen durch äußerlich angenehme Bedingungen und ein hohes Maß an abverlangter Eigeninitiative und zugestandenen Entscheidungskompetenzen. War die Kontrolle in der Disziplinargesellschaft noch eine Kontrolle, die von außen kam und vielfach mit Zwang und Drohungen im Zusammenhang stand, so ist dies in der Kontrollgesellschaft tendenziell eine "innere" Selbstkontrolle, Zwang und Disziplinierung treten in den Hintergrund. Die Arbeitenden geben sich vielfach bzw. müssen sich vielfach dem Selbstausbeutungsethos (d.h. mehr Überstunden, Beschäftigung mit dienstlichen Angelegenheiten in der "Freizeit", usw.) hin/geben.

Hinsichtlich der Unternehmenskultur kommt es zu einer Herausbildung von Unternehmensphilosophien, die die Arbeitenden vielfach (durch inneren Selbstzwang?) verinnerlichen und die zur Verstärkung der Identifikation mit dem Unternehmen führt. Hiermit meine ich bewußt vom Management gesetzte Schritte hin zu einer Organisationskultur. Es zeichnet sich auch ab, daß die kontrollgesellschaftliche Identifikationstendenz sich über Attraktivierungs-Mechanismen durchsetzt: Je attraktiver Formen die Arbeitsräume, Bürogebäude, Arbeitsmittel, etc., "desto größer ist die Bedrohung mit dem Verlust des entsprechenden Arbeitsplatzes, desto größer ist auch das Potential an Konsens, Motivation, Identifizierung, Leistungsbereitschaft".(Ortmann et. al 1990)

So kann es dann sehr leicht passieren, daß beispielsweise der/die SoftwareentwicklerIn derart begeistert von den technischen Möglichkeiten im Betrieb (neueste Software Engineering-Werkzeuge, schnelle Rechner, ...) ist, daß er/sie freiwillig mehr Zeit in der Firma verbringt und natürlich auch motivierter ist. Dazu kommt dann noch die Möglichkeit, gratis im Internet zu surfen und den Kopierer zu verwenden, eine eigene E-Mail-Adresse, die integrierte Küche im Betrieb, usw. Computer und moderne I&K-Systeme können also einerseits die Arbeitsumgebung attraktiver erscheinen lassen und andererseits kann durch derartige Technologien die Arbeit als positiv effizienter als früher erscheinen. Dies kann zu einer verstärkten kontrollgesellschaftlichen Identifikation bei den Arbeitenden führen. Dies sei hier als erstes Beispiel für die kontrollgesellschaftliche Herstellung von Identifikation mittels I&K-Technologien festgehalten.

Zur Verdeutlichung derartiger Identifikationsmechanismen genügt ein Blick in die Tagespresse: "Wer in seinem Beruf neue Perspektiven sucht, hat jetzt beste Chancen als EDV-Organisator/in [...] Persönliche Voraussetzungen: abstraktes, innovatives Denken, hohe Einsatzfreude, Teamfähigkeit und Belastbarkeit. [...] Damit Sie rasch einsteigen können, erwarten wir uns [...] gute kommunikative Fähigkeiten, Freude am telefonischen und persönlichen Kontakt, Eigeninitiative, Engagement, Teamgeist, Verantwortungsbewußtsein" (Anzeige der Ersten im Stellenmarkt der "Presse" vom 13.6.1998).

"Während in der Disziplinargesellschaft Arbeit und Erholung strikt getrennt waren [Erholung vom monotonen Alltagsprozeß in der Freizeit und am Wochenende, Anm. CF], sieht Arbeit heute aus wie Freizeit und Freizeit wie Arbeit. Im Unternehmen schuften die Mitarbeiter, als ginge es um ihr persönliches Vergnügen, und in der Freizeit vergnügen sie sich, als ginge es ums Schuften"(Holert/Terkessidis 1990, S. 15). D.h., es kommt zu einer Homogenisierung zwischen Arbeit und Freizeit. Freizeitbeschäftigungen werden immer mehr zu Arbeit, und dies vermittelt: Arbeit ist wie Freizeit, Arbeit macht Spaß. Freizeit wird z.B. in der Form von Raves, Extrembergsteigen, Bungee-Jumping, etc., die dem Körper Höchstleistungen abverlangen, zur Arbeit. Freizeit stellt also immer höhere Ansprüche an die Fitneß. Und auch im Berufsleben ist diese Fitneß immer mehr gefragt: längere, "flexiblere" Arbeitszeiten, längere Lebensarbeitszeit, Gefahr der Altersarbeitslosigkeit, usw. Heute wollen und müssen alle jung aussehen und bleiben, um fit zu sein für die Anforderungen der neoliberalen Kontrollgesellschaft:

Wichtig erscheint mir noch, daß die Kontrollgesellschaft keine Formation ist, die sich schon vollständig herausgebildet hat, sondern daß es sich um eine Tendenz handelt, die sich scheinbar zunehmend verstärkt.

Es fällt auch auf, daß diese Tendenz sich sowohl in prekären, niedrig qualifizierten als auch in mittel- und höher qualifizierten Arbeitsverhältnissen manifestiert. Inwiefern dieses partizipatorische Management", das sich oftmals in seiner europäischen und amerikanischen Variante am japanischen Disziplinarmodell orientiert, "erfolgreich" im Sinne von tatsächlicher Identifikation und Mehrleistung ist bzw. sein wird/kann, ist jetzt noch nicht absehbar. Meine Vermutung lautet, daß es in höher qualifizierten Berufen, die dementsprechend besser bezahlt sind, vielfach zu einer solchen tatsächlichen Identifikation kommt, während in niedrig qualifizierten oder prekären Arbeitsverhältnissen dies maximal eine Scheinidentifikation, die aber die Wahrnehmung des Arbeitsprozesses als immer mehr entfremdeten Prozeß gleichzeitig vorantreibt, sein kann. Die Verstärkung von Entfremdungswahrnehmungen als Wirkmöglichkeit kontrollgesellschaftlicher Mechanismen ist in letzterem Fall also anzunehmen. Die Chaos- und Selbstorganisationstheorie zeigen, daß die Prognosen und Voraussagen eine höchst unsichere Angelegenheit sind, daher kann auch hier nur gelten: Time will tell.

2. Die Rolle von I&K-Technologien in und bei der Durchsetzung der Kontrollgesellschaft

2.1. Teilautonome Arbeitsgruppen, Spinnennetzwerke und Unternehmensnetzwerke

Seit den 70er-Jahren kommt es vielfach zu einer kontrollgesellschaftlichen Umorganisierung des Arbeitsprozesses und der Arbeitsorganisation. Dabei kommt es zur Herausbildung neuer Formen:

"* Arbeitswechsel (job rotation): Hier wechseln die Personen in bestimmten Abständen und bestimmter Reihenfolge über die Arbeitsplätze.

* Aufgabenvergrößerung (job enlargement): Hier werden mehrere gleichartige oder ähnliche Arbeitsverrichtungen zu einer, nunmehr größeren Arbeitsaufgabe zusammengefaßt.

* Aufgabenbereicherung (job enrichment): Dabei werden verschiedene Arbeitsaufgaben zu einer sinnvollen Ganzheit zusammengefaßt. Neben das Bestücken und Montieren tritt z.B. die Bereitstellung des Arbeitsmaterials und die Überprüfung der Produktqualität.

* (Teil-)autonome Arbeitsgruppen: hier wird einer Gruppe von Arbeitenden das Recht eingeräumt, manche Aspekte ihrer Arbeit selbst zu bestimmen. Der Umfang dieses 'autonomen' Bereiches variiert dabei sehr stark."(Volpert 1985)

Ich will mich hier vor allem mit den (teil)autonomen Arbeitsgruppen näher auseinandersetzen, da ich sie für einen beachtlichen kontrollgesellschaftlichen Effekt halte. Derartige Arbeitsgruppen können folgende Merkmale aufweisen:

Eine solche Gruppe kann in eingeschränktem Ausmaß bei der Festlegung der Gruppenziele mitbestimmen, Arbeitsort und Arbeitszeiten können von der Gruppe frei gewählt werden, sie kann ihre eigenen Methoden und Mitglieder bestimmen, die Aufgaben intern selbst verteilen, eine Führungsperson bestimmen oder derartiges generell ablehnen und die Gruppenmitglieder entscheiden individuell über die Vorgangsweise zur Erreichung ihrer Aufgaben (Vgl. Groskurth/Volpert 1975)

Es kommt also zu dem erwähnten Effekt der Ausweitung des Verantwortungs- und Entscheidungsspielraumes, dies treibt die erwähnten Identifikationsmechanismen und somit möglicherweise die vermehrte Leistungssteigerung voran. Autonome Arbeitsgruppen ermöglichen eine Organisation wie in Abbildung 1 dargestellt.


Abb. 1. "Spinnennetzorganisation"

Eine wichtige Rolle nimmt der Wissens- und Kompetenzaustausch entlang der Verbindungslinien/Kanten ein. Moderne I&K-Technologien eigen sich zu diesem Austausch, da sie im Gegensatz zur bidirektionalen Kommunikation eine polydirektionale Kommunikation und hohe Austauschgeschwindigkeiten ermöglichen. Tritt also beispielsweise in einer Arbeitsgruppe ein Problem auf, so kann sie per E-Mail Anfragen über den Umgang mit derartigen Problemen an alle anderen Arbeitsgruppen gleichzeitig stellen, ohne mittels traditioneller bidirektionaler Kommunikation jede Gruppe einzeln um Rat bitten zu müssen. Erfolgt die Verbindung der Knoten in Abbildung 1 in der Form elektronischer Vernetzung, so bestehen beispielsweise auch die Möglichkeiten zum Zugriff auf das produzierte Wissen aller Arbeitsgruppen untereinander und zur schnellen Koordinierung, Absprache und Ausgabe von Ordern. Es kommt somit zu einer Prozeßbeschleunigung. I&K-Technologien sind also wie hier gezeigt behilflich bei der kontrollgesellschaftlichen Umorganisierung der Arbeit.

Im Kontext von Unternehmensnetzwerken und ökonomischer Globalisierung läßt sich eine derartige Spinnennetz-Organisation nicht nur innerbetrieblich, sondern auch zwischen Betrieben erkennen. Ein Knoten in Abbildung 1 repräsentiert dann nicht eine Arbeitsgruppe, sondern ein vollständiges Unternehmen. Organisationstheoretisch wird dies einem neuen Trend entsprechend immer häufiger im Begriff des "Vertrauens" zwischen ökonomischen Netzwerksknoten gefaßt (Vgl. Bachmann/Lane 1998, Coleman 1990, Giddens 1990, Luhmann 1989, Sako 1998, Sydow 1998).

2.2. Flache Organisation, Managementkybernetik und globalisierte Informationsökonomie

Eine weitere auftretende neue Organisationsform ist die in Abbildung 2 dargestellte flache Organisation.


Abb. 2. "Flache Organisation"

Der Produktionsprozeß wird in autonom voneinander abwickelbare Teile zerlegt, die jeweils dezentral erledigt werden können und von einer Zentrale aus gesteuert werden. Im Kontext ökonomischer Globalisierung ist eine derartige Organisationsform immer häufiger zu finden: Jeder Teilprozeß kann in einem anderen Land, in dem die Verwertungsbedingungen des Kapitals für die entsprechende Aufgabe dem Management "optimal" erscheinen, durchgeführt werden. Diese Optimalität bedeutet oftmals niedrigen variablen und konstanten Kapitalanteil und schlechtes Arbeitsrecht.

Die Organisations- und Managementtheorie übernimmt zur Formulierung einer solchen "schlanken" Organisationsform aus der Selbstorganisationstheorie und Kybernetik den Systembegriff und Begriffe wie fraktale Organisation, Hybridorganisation oder Selbststeuerung (Vgl. z.B. Diefenbach 1997, Baecker 1994). Letztere geht davon aus, daß es nicht möglich ist, Systeme in einem "Top-Down"-Approach zu kontrollieren und bewußt zu steuern und propagiert daher einen enthierarchisierten und dezentralisierenden "Bottom-Up"-Approach, der sich im Organisationsbereich von Machtausübung von oben emanzipieren solle.

Als Beispiel aus der Kybernetik möchte ich ein derartiges enthierarchisiertes Kommunikationsmodell herausgreifen:

Die geometrische Struktur in Abbildung 3 ist ein sogenannter "Icosaeder".


Abb. 3.: Icosaeder

Der Icosaeder besteht aus 12 Knoten, 30 Kanten und 20 Dreiecken. Aufbauend auf dieser Struktur entwickelte Stafford Beer, der Urvater der Management-Kybernetik, das "Team Syntegrity Model" (Vgl. Beer 1994) zur Gestaltung von Entscheidungsprozessen.

Ein "Infoset" besteht aus 30 Individuen, die ein gemeinsames Anliegen und entsprechende Informationen darüber haben. Jede Kante im Icosaeder repräsentiert 1 Individuum. Im Laufe des Syntegrationsprozesses werden 12 Teams zu 12 Themen gebildet, diese entsprechen den Knoten. Jedes Individuum gehört zu 2 Teams, eine derartige Zugehörigkeit wird durch die Verbindung der Individuumskante mit dem entsprechenden Teamknoten symbolisiert. D.h., daß jedes Team 5 Mitglieder hat. Jedes Individuum agiert weiters als KritikerIn in zwei anderen Teams.

Der Syntegrationsprozeß läuft folgendermaßen ab:

1. Eröffnung: Der Prozeß hat ein allgemeines Thema, das in Form einer Eröffnungsfrage formuliert wird. Punkte, die wichtig sind, werden ausgearbeitet ("Statements of Importance") - hier soll jedeR Partizipierende seine Ideen einbringen - und bilden die Basis für

2. Problem Jostle: Die Punkte werden in 12 auszuarbeitenden Themen reflektiert. Zu diesem Zweck werden zufällig zusammengestellte Gruppen gebildet. Es geht hier um die Kombination und Prioritätensetzung hinsichtlich der "Statements of Importance"

3. Topic Auction: Jedes Thema wird in einem Team bearbeitet. Jedes der 30 Individuen entscheidet, welche 2 Themen ihn/sie am meisten interessieren. Mittels eines Optimierungsalgorithmuses erfolgt dann die Zuordnung zu den Teams. Eine andere Alternative ist eine rein zufällige Zuordnung.

4. Outcome Resolve: Dies ist die Arbeit in den Teams, die jeweils z.B. aus 3 Teamtreffen besteht. Hier bringen sich Teammitglieder und KritikerInnen ein. Am Ende dieser Iterationsschritte steht jeweils ein Statement, das die besten Gedanken der Iteration zusammenfaßt, das 3. Statement fließt in die nächsten Punkte einfließen.

5. Orthogonal Meeting: Teams werden gebildet, deren Mitglieder nicht in Schritt 4 gemeinsam in Teams gearbeitet haben. Der Sinn ist, daß jede/jeder über die Arbeit in den Teams, in denen er/sie nicht dabei war, informiert wird.

5. Conclusion: Es gibt 12 sogenannte "Final Statements of Importance". Pläne, wie all dies praktisch umgesetzt werden kann, werden bei einem Treffen aller 30 Individuen besprochen. Jedes der 12 Statements bringt einen gewissen Handlungsbedarf mit sich.

Zur Kommunikation in den Teams, d.h. zur Herstellung der Verbindungen der 5 Kanten im Knoten, eignen sich moderne I&K-Systeme. Die erste derartige "elektronische Syntegration" war die Erstellung einer Festschrift für Stafford Beer in Form eines CD-ROM-Projektes (Espejo/Schwaninger 1998).

Das Team Syntegrity Model eignet sich scheinbar zur Zerlegung von Entscheidungsabläufen in Teile und einer enthierarchisierten und dezentralen Form der Behandlung dieser Teile. Angenommen, daß ein Betrieb, der inklusive Management genau 30 Personen umfaßt, dieses Modell in den Arbeitsprozeß integriert, so hat dies eine Enthierarchisierung und Stärkung der Autonomie in diesem Prozeß zur Folge.

Bei Betrieben, deren Größe 30 MitarbeiterInnen inklusive Management übersteigt, ist die Syntegration in der Form des Icosaeder m.E. unbrauchbar, da die 30 EntscheidungsfinderInnen dann nur eine Teilmenge darstellen, basisdemokratische Prozesse also verunmöglicht werden. Die Konsequenz kann dann sein, daß die 30 Privilegierten im wesentlichen das Management inklusive einiger Vertreter- bzw. Vertreterinnen der Arbeitenden sind - die sozialpartnerschaftliche Form der Syntegration? Schlußendlich führt dies dann zum Aufbau neuer Hierarchien, der Infoset ist dann ein hierarchischer Ausschnitt der Gesamtheit.

Dem "Infoset" - und ein Icosaeder ist genau so einer - ist die Informiertheit immanent: "An infoset is a set of people having a common concern and sharing pertinent information or knowledge and enthusiasm about it" (Markus Schwaninger, "Stafford Beer", http://www.isss.org/primer/beer.html). Als problematisch erweist sich dabei m.E., daß die Informationsstrukturen in Betrieben hierarchisch organisiert sind.

Anthony Giddens sieht im sogenannten "disembedding", der Verlagerung/Auslagerung von sozialen Beziehungen und der Herstellung raum-zeitlicher Entfernung, und im "reembedding", der Wiederaneignung von derart ausgelagerten Beziehungen und Entfernungen, wesentliche Mechanismen der Moderne (Vgl. Giddens 1990). Im Kontext postfordistischer Ökonomie und der vielfach beschworenen ökonomischen Globalisierung bedeutet dies die Herstellung raum-zeitlicher Entfernung von Produktionsstandorten. Transportmittel und -methoden, Techniken der Lagerung und Konservierung, Massenkommunikationsmittel, I&K-Systeme, Informationsspeicherung und -verarbeitung ermöglichen den Prozeß des "reembeddings", der Wiederaneignung raum-zeitlich ausgelagerter ökonomischer Kategorien. Inwiefern solche Techniken eine Ursache oder Folge ökonomischer Globalisierung darstellen, ist eine Streitfrage. Im Giddens&rsquoschen strukturaktionstheoretischen Kategorien könnten global operierende Organisationen als Medium und Resultat von Technikentwicklung begriffen werden.

Ich gehe davon aus, daß sich in der Informationsgesellschaft das traditionelle Schema der drei ökonomischen Sektoren um einen vierten - den Informationssektor, in den z.B. Berufe in den Bereichen Massenmedien, Publizieren, Computer- und Softwarebranche oder Telekommunikation fallen - erweitert hat. Daniel Bell meint, daß dieser Informationssektor zu Lasten der Güterproduktion zunimmt, und er sieht die Ursachen für die Herausbildung dieses neuen Sektors in Innovationen in der Mikroelektronik und im exponentiellen Wachstum des Wissens (Vgl. Bühl 1997, S. 36ff; Bell 1975). Das Internet kann als Anwendung moderner I&K-Systeme durch die Ermöglichung einer weltweiten Vermarktung von Informationsprodukten in einer sich globalisierenden "Informationsökonomie" als Medium und Resultat der Globalisierung und als Katalysator der Etablierung neuer ökonomischer Verwertungsbedingungen verstanden werden. Die Etablierung sogenannter "Intellektueller Eigentumsrechte" an Informationsprodukten, die Kriminalisierung von Softwaretausch und -weitergabe und die Monopolisierung der entsprechenden Märkte spielen dabei eine wichtige Rolle (Vgl. z.B. http://www.yorku.ca/research/dkproj/crit-ict/rv1.htm)

Moderne I&K-Systeme spielen als Mechanismus des "re-embeddings" die Rolle, daß sie eine schnelle Möglichkeit zur Kommunikation und zum Austausch von Wissen zwischen der Zentrale und den dezentralen Einheiten darstellen. Sie sind somit wesentlich bei der Durchsetzung und Organisierung einer globalisierten Ökonomie, die ich als Phänomen der Trias Postfordismus/Neoliberalismus/Kontrollgesellschaft begreife, beteiligt.

2.3. Elektronischer Arbeitsplatz, Telearbeit

Die Tendenz zum "elektronischen Arbeitsplatz" bietet die Möglichkeit zur elektronischen Leistungskontrolle. Sind sich die Angestellten/ArbeiterInnen darüber bewußt bzw. werden sie darüber informiert, so entstehen neue Zwänge, Drangsalierungen und Drohungen im Sinne der Disziplinargesellschaft. D.h. dann, daß die permanente Überwachung als Ansporn zur Leistungssteigerung dienen soll. I&K-Technologien eröffnen also auch (nicht nur theoretisch wie dies z.B. die Rasterfahndung und Scannen des Datenverkehrs im Internet zeigen) die Möglichkeit zu Überwachungs- und disziplinargesellschaftlichen Mechanismen. Ich glaube aber nicht, daß sich derartige Überwachungsmöglichkeiten in Betrieben durchsetzen werden, sondern daß die Tendenz zur kontrollgesellschaftlichen Identifikation und zu inneren Selbstzwängen sich verstärken wird.

Auch Telearbeit verstärkt die kontrollgesellschaftliche Autonomie und Entscheidungsfreiheit der Arbeitenden. Der/Die InformationsarbeiterIn bestimmt zunehmend selbst sein/ihr Arbeitstempo, die Arbeitszeit, Anzahl und Dauer der Pausen, etc. Es zeigt sich jedoch, daß TelearbeiterInnen mehr und länger arbeiten als im Betrieb und zunehmend auf Pausen verzichten. Problematisch ist außerdem der Wegfall sozialer Kontakte bei der Arbeit. Telearbeit leistet auch der kontrollgesellschaftlichen Idee, daß jede/r sein/ihre eigene/r UnternehmerIn ist, Vorschub. Hiermit meine ich die Idee, daß TelearbeiterInnen keine fixen Angestellten eines Betriebes sind, sondern einzelne Aufträge von verschiedenen AuftraggeberInnen annehmen. Telearbeit mit all ihren Konsequenzen ist Prozeß des "re-" und "disembeddings" zugleich, in dem Sinne, daß sie als neues Arbeitsverhältnis raum-zeitlich entfernte Arbeitsprozesse herstellt und diese Entfernung durch die verwendeten I&K-Systeme wiederum aufhebt.

2.4. Neue Fahndungsmethoden

Die neoliberale Umstrukturierung u.a. hin zur ökonomischen Globalisierung ist keineswegs so etwas wie ein gegen den Nationalstaat gerichtetes Projekt. Das, was es früher hauptsächlich zwischen kapitalistischer Peripherie und Zentrum gab - nämlich die ständige Verschärfung der Kluft zwischen Arm und Reich, ständiger Akkumulation und erzwungener Überschuldung, Wohlstand und Verslumung -, reproduziert sich nun zunehmend auf einer Ebene, die sich innerhalb des kapitalistischen "Westens" abspielt. Die anhaltende zunehmende Ghettoisierung von Stadtteilen in den USA, Rekordarbeitslosenzahlen in Deutschland und sonstwo und das Anwachsen der Zahl der Menschen, die armutsgefährdet sind, sind symptomatisch für diesen Zustand. Wohlstandsinseln werden scheinbar nicht nur nach außen hin - siehe Schengen -, sondern auch nach innen, abgeschottet. In diesem Kontext stehend sehe ich auch die sogenannten neuen "Fahndungsmethoden".

Polizeistaatliche Absicherung von Wohlstandsinseln, Lauschangriff und Rasterfahndung - dies steht im Sinne der Disziplinierung und stellt eine Stärkung der nationalstaatlichen Politik, die durch die ökonomische Globalisierung ins Hintertreffen zu geraten scheint und der droht, auf eine Politik der Standortsicherung reduziert zu werden, dar. Daher meine ich, daß bei der ökonomischen Globalisierung nicht von einem gegen die Nation gerichteten Projekt gesprochen werden kann.

Ich sehe die derzeitige Situation so, daß es sehr wohl neue Disziplinarformen in der Form oder durch die Unterstützung von Computertechnologie gibt - auf einer nationalstaatlichen Ebene als Konterstrategie zur Kompensierung des Verlusts nationalstaatlicher "Identitätspolitik" -, auf einer innerbetrieblichen Ebene glaube ich, daß es auf eine kontrollgesellschaftliche Identifikationspolitik hinauslaufen wird, obwohl auch hier die Potenz besteht, daß Computer und Vernetzung sich als Mittel der Disziplinierung etablieren.

Literatur:

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Bachmann, Reinhard / Lane, Christel (Hrsg.) (1998) Trust Within and Between Organizations, Oxford

Beer, Stafford (1994), Beyond Dispute. The Invention of Team Syntegrity, Wiley

Bühl, Achim (1997), Die virtuelle Gesellschaft - Ökonomie, Politik und Kultur im Zeichen des Cyberspace, Opladen/Wiesbaden

Bell, Daniell (1975), Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt/New York

Coleman, James (1990), Foundations of Social Theory, Cambridge/London, Kapitel 5

Deleuze, Gilles (1993), Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, in: Deleuze, Gilles (1993), Unterhaltungen. 1972-1990, Frankfurt a.M.

Diefenbach, Katja (1997), Kontrolle, Kulturalisierung, Neoliberalismus; in: nettime (Hg.), Netzkritik - Materialien zur Internet-Debatte

Espejo, R. / Schwaninger M. (Hrsg.) (1998), To Be and Not to Be, that is the System. A Tribute to Stafford Beer, CD-ROM, Wiesbaden

Giddens, Anthony (1990), The Consequences of Modernity, Stanford

Groskurth P./Volpert W. (1975); Lohnarbeitspsychologie, Berufliche Sozialisation: Emanzipation zur Anpassung, Frankfurt

Foucault, Michel (1976a), Mikrophysik der Macht: Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin

Foucault, Michel (1976b), Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses

Foucault, Michel (1978), Dispositive der Macht: Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin

Hirsch, Joachim (1986), Der Sicherheitsstaat, Frankfurt a.M., 2. Auflage

Hirsch, Joachim (1995), Der nationale Wettbewerbsstaat, Amsterdam/Berlin

Hirsch, Joachim (1998), Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat, Berlin

Holert, Tom / Terkessidis, Mark (Hrsg.) (1996), Mainstream der Minderheiten - Pop in der Kontrollgesellschaft, Berlin

Hübner, Kurt (1996), Neoliberalismus?, in: Die Beute - Politik und Verbrechen Nr. 10 (2/96), S. 19f

Luhmann, Niklas (1989), Vertrauen. Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart, 3. Auflage

Ortmann et al. (1990), Computer und Macht in Organisationen, Köln

Sako, Mari (1998), Does Trust Improve Business Performance?, in: Bachmann / Lane (1998), S. 203-213

Sydow, Jörg, Understanding the Constitution of Inter-organizational Trust, in: Bachmann / Lane (1998), S. 31-63

Volpert, W. (1985), Psychologische Aspekte industrieller Arbeit; in: Georg W. / Kißler, L. Sattel, U., Arbeit und Wissenschaft: Arbeitswissenschaft?, Bonn

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