Peter Fleissner, Wolfgang Hofkirchner (1)

In-formatio revisited

Wider dem dinglichen Informationsbegriff

In: Informatik Forum 3/1995, 126-131


INHALT:

Das Capurrosche Trilemma

Vom Paradigma der Selbstorganisation eingeholt

Geschichtetes Informationsgeschehen

Geschichte des Informationsgeschehens

Der alte Informationsbegriff ersteht in neuer Gestalt

Fußnoten

 

Wer in der heutigen Zeit darüber nachdenken will, was Information denn eigentlich sei, muß sich rechtfertigen. Denn gefragt sind glatte technische Lösungen, die sich ökonomischen und politischen Kurz- und Mittelfristinteressen anschmiegen, also verkaufbare, durchsetzbare Applikationen der Informations- und Kommunikationstechnologien, und nicht Reflexionen, die aus dem Staunen geboren werden.

Information ist das, was mit dem Shannonschen Entropiemaß gemessen wird. Punktum. So oder ähnlich könnte die Antwort lauten, wenn wir Technik- oder NaturwissenschaftlerInnen nach einer Definition von "Information" befragen. Der Informatik geht es wie der Psychologie: "Intelligenz" ist, was der Intelligenztest mißt. Ob Intelligenz darüber hinaus theoretisch begründet werden könnte, fällt nicht mehr in den Bereich exakter Wissenschaft. Und PsychologInnen können ganz gut ohne tieferschürfende Abstraktionen leben.

Auch der - wie es heißt - exaktesten aller Naturwissenschaften geht es nicht anders. Die Physik ist sehr erfolgreich, obwohl sie eigentlich nicht erklären kann, was Energie ist, und "Energie" zählt schließlich zu ihren Grundbegriffen. In der Informatik weiß man ebenso wenig, was "Information" ist, trotzdem (wenn nicht gerade deswegen?) ist sie, die Informatik, erfolgreich: Also scheint eine Diskussion um ihren Grundbegriff für die Praxis irrelevant. Oder "Information" ist gar nicht ihr Grundbegriff.

Dies sind noch nicht einmal die schwerwiegendsten Einwände gegen eine Beschäftigung mit dem Informationsbegriff. Es könnte der Fall sein, daß eine theoretische Klärung sehr wohl praxisrelevante Früchte zeitigt (2), daß aber eine solche nicht allein wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten, in der WissenschaftlerInnengemeinde einen tragfähigen Konsens zustande zu bringen, äußerst unwahrscheinlich, sondern aus logischen Gründen unmöglich ist.

 

Das Capurrosche Trilemma

Zwar ist sicher, daß der Begriff "Information" fast universell benutzt wird, nämlich in einer großen Zahl spezieller Disziplinen, außerdem im Alltag und in unterschiedlichsten Kontexten. Das sagt aber nur wenig darüber aus, wie er in den verschiedenen Bereichen auch verstanden wird.

Nach Capurro (3) gibt es da nur drei Möglichkeiten: Der Informationsbegriff bedeutet in allen Bereichen

  • entweder genau dasselbe
  • oder nur etwas ähnliches
  • oder jeweils etwas ganz anderes.

Betrachten wir die erste Möglichkeit: Wären die in den verschiedenen Wissenschaften gebräuchlichen Informationsbegriffe synonym, dann müßte das, was "Information" genannt wird, etwa auf die Welt der Steine (Physik) im selben Sinn zutreffen wie auf die Welt der Menschen (Psychologie etc.). Dagegen sprechen aber gute Gründe, die die qualitativen Unterschiede zwischen diesen Welten ins Treffen führen. Diese Möglichkeit scheidet damit aus.

Die zweite Möglichkeit: Nehmen wir an, die Begriffe seien analog. - Welcher der verschiedenen Informationsbegriffe sollte dann das primum analogatum, den Vergleichsmaßstab für die übrigen, und mit welcher Begründung abgeben? Wäre es z.B. der Informationsbegriff einer Wissenschaft vom Menschen, müßten wir in Kauf nehmen, zu anthropomorphisieren, wenn wir nicht-menschliche Phänomene behandeln wollen, d.h. fälschlicherweise Begriffsinhalte von einem Bereich - hier dem menschlichen - auf einen anderen zu übertragen, wo sie nicht passen, etwa behaupten zu müssen, daß die Atome miteinander reden, wenn sie sich zu Molekülen verbinden usw. Wäre es z.B. ein physikalischer Informationsbegriff, von dem wir ausgehen wollten, handelten wir uns eine physikalistische Reduktion des biologischen oder sozial-kulturellen Informationsgeschehens ein, d.h. die falsche, weil nicht der Komplexität der Gegenstandsbereiche Rechnung tragende Behauptung, was in der Biologie oder in der Kultur informationell abläuft, sei nichts anderes, als was im physikalischen Bereich und mit physikalischen Methoden analysiert werden kann. In jedem Falle eine Konsequenz, die zu verwerfen ist. Aus diesem Grund kommt auch diese Möglichkeit nicht in Betracht.

Bleibt noch die dritte Möglichkeit: Wenn die Begriffe äquivok wären, also gleichlautende Worte für unvergleichbare Designate - wie stände es da um die Wissenschaft? Sie gliche dem Turmbau zu Babel, die Fächer könnten nicht miteinander kommunizieren, so wie Kuhn das auch von einander ablösenden Paradigmen annimmt, die Erkenntnisobjekte wären disparat, wenn überhaupt abgrenzbar. Also ist auch die letzte Möglichkeit unbefriedigend.

Dies ist das Capurrosche Trilemma. Wir müßten annehmen, daß der Wissenschaft nichts anderes übrigbleibt, als entweder an der Suche nach einer Weltformel zu scheitern oder mit der subjektiven Beliebigkeit der Projektionen zwischen den unterschiedlichsten Gebieten jeden allgemeingültigen Anspruch aufzugeben oder im Fachidiotentum dahin zu vegetieren. Ein Ausweg aus dem Trilemma scheint nicht zu existieren, ein einheitlicher, vereinheitlichter, einziger Informationsbegriff aus logischen Gründen unmöglich.

 

Vom Paradigma der Selbstorganisation eingeholt

Wie so oft, wenn sich der Rückgriff auf dialektisches Denken bewährt, wo mit der formalen Logik kein Auslangen gefunden worden ist, bricht auch hier die Wirklichkeit in das Reich der Ideen ein. Die Lösung ist einfach: Muß es denn denkunmöglich sein, daß der Informationsbegriff sowohl einen Inhalt besitzt, den alle Einzelwissenschaften gemeinsam haben und der sich in ihnen wiederholt, als auch einen einmaligen Inhalt, einen, der für die jeweilige Disziplin einzigartig ist, sodaß die verschiedenen Begriffe vergleichbar wie unterscheidbar sind, weil und indem sie Gleiches wie den Unterschied beinhalten? Nein! Dies ist durchaus denkbar und läßt sich umgekehrt wieder formallogisch darstellen: als eine fraktale Begriffspyramide aus genus proximum und differentia specifica.

Ein einheitlicher Informationsbegriff, der Allgemeines und Einzelnes miteinander vermittelt " das Allgemeine als die gesetzmäßigen, notwendigen Bestimmungen jeglichen Informationsgeschehens und das Einzelne als diejenigen Bestimmungen, die bei der konkreten Erscheinungsform hinzutreten und die unverwechselbaren Eigentümlichkeiten des je nach Gegenstandsbereich besonderen Informationsgeschehens ausmachen, wobei Allgemeines und Einzelnes mit der Betrachtungsebene variieren - das ist es, was unseres Erachtens durchaus denkmöglich ist.

Ein vereinheitlichter Informationsbegriff ist aber - und das ist kein historischer Zufall! (4) - nicht nur denkmöglich. Er wird im Augenblick real möglich dadurch, daß mit dem Übergang von der Systemtheorie I zur Systemtheorie II wie auch von der Kybernetik I zur Kybernetik II und mit der Umfangserweiterung des Evolutionsbegriffs eine Theorie offener, nicht-linearer, komplexer, dynamischer, selbst-organisierender, kurz: evolutionärer Systeme (5) in greifbare Nähe rückt, die nicht mehr die Mechanismen, die Strategien und Steuerungsmöglichkeiten von Systemen zur Aufrechterhaltung oder Erreichung innerer Gleichgewichtszustände (Systemtheorie I und Kybernetik I) und die Entwicklung der Arten (Evolutionstheorie nach Darwin) allein thematisiert, sondern das Werden, Entfalten und Vergehen, die Entwicklung, gleich welcher Systeme, von der Bildung der frühesten Partikel, von denen wir Kenntnis haben, über die Entstehung terrestrischer Lebensformen bis zur Ausbildung bestimmter Subsysteme humaner sozio-technischer Systeme, zum Gegenstand ihrer Erkenntnis macht - eine Theorie, die nach unten hin durch Forschungen in einer Vielzahl von Disziplinen mit einzelwissenschaftlichen Modellen abgestützt werden kann (Haken, Prigogine, Eigen, Maturana, Luhmann, um nur die meistgenannten noch einmal zu benennen), und eine Theorie, die von oben her als Ausprägung der Emergenz-Philosophie konzipiert werden kann, was sie in die Lage versetzen wird, Scylla und Charybdis des Reduktionismus und des Holismus zu umschiffen (6).

Selbstorganisation heißt im Rahmen dieses Ansatzes, daß der Entwicklungspfad von Systemen, die sich fern vom thermodynamischen (und chemischen) Gleichgewicht befinden, Bifurkationspunkte aufweist, an denen das System gezwungen ist, einen von mehreren möglichen, wenn auch vielleicht unterschiedlich wahrscheinlichen Wegen der weiteren Entwicklung einzuschlagen. Diese Phasensprünge sind an das Vorliegen von Entropieexport gebunden (7).

Die im Entstehen begriffene Theorie evolutionärer Systeme stößt einen Paradigmenwechsel an, der das ganze wissenschaftliche Weltbild erfaßt. Und sie läßt auch die Informationstheorie nicht ungeschoren. Information ist eine Erscheinung, die im Bereich entwicklungsfähiger Systeme zutage tritt. Sie muß als Entwicklungsphänomen auf den Begriff gebracht werden.

Das bedeutet: Der verdinglichte Informationsbegriff (Information als Nachricht) darf Information nicht einfach vom Himmel fallen lassen. Er muß sie wieder rückbinden an einen Prozeß, als dessen Resultat sie erst entsteht. Und das in einem zweifachen Sinn:

  1. bezogen auf die Generierung jeder einzelnen Information, die Teil einer Klasse von Informationen derselben Art ist; und
  2. bezogen auf eben diese Klasse, die Entwicklungsprodukt einer Abfolge von Klassen vorhergehender Stadien (von Klassen von Informationen weniger entwickelter Art bzw. in letzter Folge von Voraussetzungen für das Auftauchen von Information überhaupt) ist.

 

Geschichtetes Informationsgeschehen

 


Abb.1

Zunächst zum ersten Punkt. Nehmen wir den Fall der Information in der Kognition und Kommunikation sozialer Systeme (Abb.1), z.B. die Informationsabläufe in einem Betrieb. Der Betrieb als agierendes Wirtschaftssubjekt muß Entscheidungen über sein Verhalten am Markt treffen, er muß diese Entscheidungen auf der Grundlage einer die Realität am Markt möglichst adäquat repräsentierenden Wissensbasis treffen, und er muß diese Wissensbasis mithilfe geeigneter Daten aufbauen, die er aus der Fülle der Signale, mit denen er aus der Umwelt bombardiert wird bzw. die aus seinem Inneren stammen, gewinnen muß. Zwischen Signalen und Daten, zwischen Daten und Wissen und zwischen Wissen und Entscheidung liegen jeweils Schritte der Informationsverarbeitung, die keine bloßen algorithmischen Transformationen darstellen, wie der Begriff "Informationsverarbeitung" und die Praxis der Computerisierung nahezulegen scheinen, sondern eine Metamorphose, in deren Verlauf Information in immer neuer Qualität hergestellt wird. Auf der Datenebene wird eine Dimension angesprochen, die die Semiotik als Syntaktik bezeichnet, eine Dimension, die sich auf Regeln der Verknüpfung von Zeichen bezieht, die für die Zeichen zunächst einmal unabhängig davon gelten, daß sie nicht für sich selbst, sondern für bestimmte Objekte stehen; auf der Wissensebene tritt diese vorher ausgesparte Dimension der Semantik, der Bedeutung der Zeichen für die Betriebsstrategie, hinzu; und auf der Entscheidungsebene finden wir die pragmatische Dimension, bei der es schließlich um die Rolle der bereits bedeutungstragenden Zeichen geht, die sie bei der Steuerung und Regulierung des Handelns und Wirkens des Systems spielen. Syntaktische, semantische und pragmatische Bestimmungen kennzeichnen unterschiedliche Qualitäten der Information.

Und sie sind nicht - wie von den Gründervätern der Semiotik noch konzipiert - nebeneinander gestellte Aspekte, die miteinander nichts zu tun haben. Der jeweils vorhergehende Aspekt ist notwendige Voraussetzung für den nächsten, der nachfolgende hinreichende Bedingung für den vorigen. Sie sind an folgende systemtheoretische Beschreibung ankoppelbar: Es gibt eine Mikro-, eine Meso- und eine Makroebene der Systembetrachtung; auf der ersten werden die Elemente und deren Relationen (istgleich die Struktur) bestimmt, auf der zweiten der Zustand und auf der dritten das Verhalten eines Systems im Netz.


Abb.2

Die syntaktische Dimension bezieht sich auf die strukturellen Aspekte des sozio-technischen Systems Betrieb, die semantische auf die Funktionalität der Struktur für das System und markiert damit die Einnahme eines inneren Zustands, und die pragmatische betrifft die Umsetzung des inneren Zustands in ein äußeres Verhalten.

Zwischen den Ebenen besteht eine gewisse Rückkopplung. Der Prozeß der Generierung der Information verläuft zwar in Richtung höhere Ebene, die höhere Ebene übt jedoch eine Makrodetermination auf die niedrigere Ebene aus. So ist der Prozeß der Gewinnung von Daten keine bloße "sinnliche" Informationsverarbeitung mit den Sensoren, die dem Betrieb zur Verfügung stehen, sondern bereits "rational" gelenkt, da ja nur gewisse Daten erhoben werden sollen, die eine spezielle Fragestellung betreffen. Genauso ist der Prozeß der Gewinnung von Wissen keine spiegelbildliche Wiedergabe der Realität, sondern eine Sichtung der Daten, die durch eine bestimmte Brille vorgenommen wird. Und die Erkenntnisse verdanken sich genauso ganz bestimmten Zielen, die als Werte vorgegeben werden.

Die dahinterliegende Triebkraft für die Umwandlung der Information einer Art in Information anderer Art ist die Eigenaktivität des Systems Betrieb. In gewisser Weise produziert der Betrieb seine eigene Information, er konstruiert sie (wenn auch unter bestimmten Rahmenbedingungen).

Was auf einer Ebene dann jeweils als Information vorliegt, ist Resultat eines spezifischen Prozesses der Informationsgenerierung: Daten sind das Ergebnis der Wechselwirkung "sinnlicher" mit "rationaler" Erfahrung, Wissen ist das Produkt der Bestätigung und Widerlegung entworfener Annahmen, die als Abbilder der Realität fungieren sollen, und Entscheidungen sind Handlungsanweisungen, die durch den Vorgang der Bewertung alternativer Optionen erzeugt werden. Diese Prozesse sind Zyklen der Selbstorganisation.

So in etwa könnte die oben genannte erste Forderung an den Informationsbegriff eingelöst werden.

 

Geschichte des Informationsgeschehens

Um der zweiten Forderung gerecht zu werden, brauchen wir nichts anderes zu tun, als das Informationsgeschehen in sozialen Systemen als das vorläufig höchstentwickelte Informationsgeschehen zu betrachten, von dem wir Menschen derzeit Kenntnis haben. D.h. das Auftreten der Vorgänge, in denen Information für ein soziales System von einer Qualität zur anderen umschlägt, muß mit dem Entstehen sozialer Systeme selbst einhergegangen sein.

Entsprechend dem üblichen Konsens, zwischen Kultur und Natur, belebter Natur und unbelebter Natur zu unterscheiden, lassen sich auch leicht Stufen unterschiedlicher Qualitäten der Informationsgenerierung identifizieren.

1. Die Stufe des Informationsgeschehens in sozialen Systemen:


Abb.3

Soziale Systeme weisen eine hohe Anzahl von Freiheitsgraden auf, was ihre Art und Weise der Existenzsicherung betrifft. Sie verfügen über antizipatorische Fähigkeiten, d.h. über ein inneres Modell ihrer Beziehung zur Umwelt, aufgrund dessen sie in einem bestimmten Maß die Folgen ihres Handelns vorwegnehmen können. Sie können bewußt zwischen verschiedenen Handlungsalternativen wählen. Sie gestalten zu einem gewissen Grad ihre Umwelt (sind "alloplastisch", wie wir in Anlehnung an den therapeutischen Sprachgebrauch sagen können, verändern das Fremde), diese koppelt die Folgen ihres Handelns an sie zurück, und damit gestalten die Systeme letztlich sich selbst, denn sie sind die entscheidenden Akteure (sind "re-kreativ", wie Jantsch gesagt hat, verändern, ja schaffen, sich selbst).

- Die Aufgabe, die sich hier stellt, ist, diejenigen Aspekte gesellschaftswissenschaftlicher Theorien über die Natur der Sozialität derart auf den Punkt zu bringen, daß die Ausdifferenzierung der Informationsgenerierung auf dieser Stufe genau zum Muß für den spezifischen Modus der Aufrechterhaltung der betreffenden Systeme wird. Syntaktik, Semantik, Pragmatik scheinen notwendige Schritte selbstorganisierter Phasenübergänge der Information zu sein.

2. Die Stufe des Informationsgeschehens in biotischen Systemen:


Abb.4

Nichtmenschliche lebende Systeme haben erheblich weniger Kontrolle über ihre Umwelt. Was sie jedenfalls zeigen, ist ein Sensorium, mit dem sie Reize unterscheiden können, die für ihre spezifische Art und Weise, ihre Ordnung aufrechtzuerhalten, nämlich ihr Überleben, relevant sind oder nicht, und ein Effektorium, ein motorischer Apparat, mit dem sie reagieren und sich an die Umweltbedingungen anpassen können. Weil sie aus Elementen bestehen, die in der Lage sind, mit der Umwelt so zu interagieren, daß sie wiederum Elemente zu erzeugen, aus denen die Systeme bestehen, kann gesagt werden: Die biotischen Systeme stellen sich selbst her (sind nach Maturana und Varela "autopoietisch", selbstreproduktiv).

- Auch hier geht es darum, die Beziehung zwischen dem Mechanismus des Überlebens und dem der biotischen Informationsverarbeitung aufzuhellen. Um in der Umwelt überleben zu können, müssen die Systeme zur Repräsentation der Außenwelt befähigt sein. Die kognitiven Repräsentanzen, die sie über ihre Fähigkeit zur Aufnahme von Signalen erarbeiten, scheinen im Unterschied zur menschlichen Entwicklungsstufe direkt emotional-motivationalen Charakter zu tragen, so daß ein Auseinanderhalten der semantischen und der pragmatischen Anteile nicht möglich ist, aber doch zwei aufeinander aufsetzende Selbstorganisationszyklen charakterisiert werden können.

3. Die Stufe des Informationsgeschehens in physikalischen Systemen (8):


Abb.5

Oft wird die Meinung vertreten, daß die Evolution erst mit dem Auftreten biologischer Makromoleküle das Phänomen Informationsverarbeitung zeigt. Es gibt aber chemische und physikalische Systeme, welche die Spontaneität der Materie zur selbstorganisierten Strukturbildung unter Beweis stellen, sofern sie "gepumpt" sind, d.h. hochwertige Energie einführen, diese zur Verrichtung von Arbeitsleistung, nämlich zum Aufbau von Ordnung, vernutzen und die so entwertete Energie (und die dabei anfallende Entropie) wieder abführen, zerstreuen (deshalb nannte Prigogine sie "dissipativ"). Diese Systeme verfügen ebenfalls noch über Freiheitsgrade, die Strukturen, die sie durch einen Anstoß von außen selber generieren, sind nicht vollständig durch ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis beschreibbar. Diese Strukturen können von uns als Information interpretiert werden, insoweit sie als verselbständigtes Resultat eines Selbstorganisationsprozesses wie ein Zeichen auf etwas anderes verweisen und nicht für sich selbst stehen, aber sie werden vom jeweiligen System noch nicht selber interpretiert und mit Bedeutung versehen, weshalb hier zwischen syntaktischen Aspekten einerseits und semantisch-pragmatischen andererseits nicht sinnvoll zu unterscheiden ist. Dem System fehlt die Fähigkeit, durch Eigenaktivität den Energiedurchfluß verstetigen zu können.

Der Sinn einer solchen Bestimmung der Spezifik informationeller Prozesse liegt in der Zusammenführung der getrennt existierenden Forschungsrichtungen zur Selbstorganisation evolutionärer Systeme, damit sie ineinander greifen " eine Arbeit, die noch geleistet werden muß. Hier werden alloplastische Systeme als Verwirklichung einer speziellen Möglichkeit autopoietischer Systeme angesehen und die autopoietischen ihrerseits als Verwirklichung einer speziellen Möglichkeit dissipativer Systeme.


Abb.6

In jeder Phase der Evolution taucht ein neues Moment auf, das als Schicht für die höher entwickelten Systeme charakteristisch ist und dem gesamten Schichtenbau eines Systems das Gepräge gibt. Das Ordnen ist ein gemeinsames informationelles Merkmal aller selbstorganisierenden Systeme, das Verfügen über Repräsentanzen typisch für alle lebendigen Systeme, und das Wählen zwischen mehreren Alternativen essentiell für die menschlichen Systeme.

 

Der alte Informationsbegriff ersteht in neuer Gestalt

Sowohl mit der Auffassung der Information als etwas, was sich im aktuellen Vollzug von einer Form in eine andere umwandelt und dabei eine Spirale nach oben beschreibt, als auch mit der Auffassung von der evolutionären Stufenfolge dieser Informationsvorgänge, die sich zum heutigen Zeitpunkt nach ihrem Vorkommen in der Welt unterscheiden lassen, betonen wir die Einheit und den Unterschied, das Allgemeine und das Einzelne im Erkenntnisgegenstand Information.

Information ist etwas, was mit der Selbstorganisation ins Spiel kommt. Wo der deterministische Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung aufgebrochen wird, wo die Eigenaktivität eines Systems dazwischengeschaltet wird und die Ursache nur mehr zum Auslöser von Prozessen im System wird, die eine Wirkung hervorbringen, wo das System eine Wahl trifft, wenn es Mögliches zu Wirklichem macht, eine Wahl, die irreduzibel ist " dort ist Information im Entstehen.

Das Informationsgeschehen hinterläßt Spuren im System, in seiner Struktur, in seinem Zustand, in seinem Verhalten. Diese Spuren können Ausgangspunkt für ein weiteres Informationsgeschehen sein, das sich auf ein anderes System bezieht, in welchem es die Selbstorganisation dieses Systems begleitet. Die Spuren werden manchmal "strukturelle Information" genannt, die "potentiell" sein kann (an sich, als möglicher Ausgangspunkt für einen informierenden Prozeß) oder "aktuell" (für ein anderes System, als tatsächlicher Endpunkt seiner Informierung); der Informierungsprozeß heißt verschiedentlich "funktionale" oder "kinetische Information" (bezogen auf ein System, Information in Bewegung, dynamische, prozessuale Information).

Damit belebt der Informationsbegriff die alte Bedeutung (9) wieder, die er vor seiner Verarmung auf die Bedeutung als Wissensvermittlung und schließlich auf die Bedeutung als Botschaft (aggelia), als etwas, was fix und fertig vorliegt und einfach nur mehr ausgetauscht zu werden braucht, innehatte: Informatio bedeutete im Lateinischen nicht nur das Ergebnis eines Vorganges, sondern auch den Vorgang selber, den Vorgang des informare. In-formare hieß "einformen", "in eine Form bringen", wobei das Subjekt der Tätigkeit der Mensch (Handwerker), Gott oder die Natur selber sein konnte, das Objekt im Falle des Menschen oder Gottes als Subjekt der Stoff oder der Mensch (seine Seele im erkenntnistheoretischen oder pädagogischen Sinn), im Falle der Natur als Subjekt die Natur selber - eine Vorstellung, die verblüffend modern klingt, wenn wir Gott nicht mehr als in die Schöpfung eingreifend unterstellen und den Menschen als Teil der Natur betrachten: eine Vorwegnahme der heutigen Auffassung von der Selbstorganisation der Materie! Und die Formen kennzeichneten damals Qualitätsunterschiede, also das In-formieren einen Prozeß, im Resultat dessen etwas Neues entstand (10)!

In-Formation: das selbstorganisierte Sich-in-Form-bringen gleich welchen Systems - das ist der Begriffsinhalt, der an die alte Bedeutung anknüpft und sie im Lichte jüngster Forschungen neu interpretiert. Das ist genau der Inhalt, der verspricht, eine Vielzahl dessen, was mit den unterschiedlichsten Informationsauffassungen gemeint ist, zu vereinigen! Versuchen wir es!

 

Fußnoten:

(1) Die hier angestellten Überlegungen verdanken sich intensiven Diskussionen mit
Gertraud Benke, Günther Ellersdorfer, Norbert Fenzl, Klaus Fuchs-Kittowski,
Robert Jahn, Gottfried Stockinger, Hans Wassermann u.a., mit denen wir im Rahmen
eines vom FWF geförderten Projektes Zur Genese von Informationsstrukturen 1993-1995 zusammengearbeitet haben. Ein Beitrag der Autoren erscheint heuer in
einem von Kornwachs und Jacoby herausgegebenenSammelband im Akademie-Verlag,
Berlin, zum Informationsbegriff, ein Beitrag, dem auch ein ausführliches
Literaturverzeichnis entnommen werden kann, so das wir hier auf die Angabe von
Referenzen verzichten wollen.

(2) Vgl. die Ausführungen eines von uns zur Information Science" im selben Heft.

(3) Rafael Capurro ist Philosoph, Professor an der Hochschule für Bibliotheks- und Informationswesen, Stuttgart, und u.a. Autor d e r Monographie zum Informationsbegriff. Die folgende Argumentation stützt sich auf viele gemeinsame Gespräche, die wir seit der ersten Begegnung eines von uns mit ihm im Jahr 1990 geführt haben.

(4) Nach Marx ist eine Theorie" der Arbeit erst möglich geworden, als die praktischen Bedingungen die Arbeit zu einer Realabstraktion werden lassen haben. D.h. erst als die Arbeit in Wirklichkeit - mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft - zu einer allgemeinen Erscheinung geworden ist, hat sie auch theoretisch auf den Begriff gebracht werden können. So geht es uns heute mit dem Informationsbegriff.

(5) International Seminar on Evolutionary Systems" hieß ein Treffen, das im März dieses Jahres vom Konrad-Lorenz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung in Wien veranstaltet wurde.

(6) Die emergentistische Philosophie beschäftigt sich mit dem Auftauchen des Neuen aus dem Alten und der Dominanz des Ganzen gegenüber seinen Teilen. Sie geht dabei weder den Weg des Reduktionismus noch den des Holismus. Der Reduktionismus löst das Neue ins Alte und das Ganze in seine Teile auf und eskamotiert damit den Qualitätssprung. Der Holismus postuliert den Qualitätssprung, indem er die Verbindungen zwischen dem Alten und dem Neuen bzw. den Teilen und dem Ganzen kappt. Der Emergentismus läßt das Neue mehr sein als das Alte und das Ganze mehr als seine Teile, ohne das Hervorgehen aus dem Alten und ohne das Zusammenwirken der Teile zu negieren. Er denkt Kontinuität und Diskontinuität zusammen.

(7) Entropie" ist ein Maß für die Geringwertigkeit der Energie. Je höher die Entropie eines Systems, desto geringer der Wert der Energie, die es befähigt, Arbeit zu leisten. Um Entropie exportieren" zu können, muß ein System offen sein und Energie mit geringer Entropie einführen.

(8) In den folgenden Abbildern wird der besseren Übersichtlichkeit halber die Darstellung der Selbstorganisationszyklen mit zwei getrennten einander entgegengesetzt gerichteten Pfeilen durch einen einzigen Pfeil ersetzt, dessen Spitze von anderer Breite ist als der Schaft.

(9) Siehe R. Capurro, Information, Saur 1978.

(10) Siehe ebd., S. 60 u. 97.