Medienwechsel
Ein Hauptproblem des Wissenschaftlichen Kommunikationsprozesses ist das exponentielle Wachstum des gesamten Wissensbestandes. Wir stehen vor einem Medienwechsel, der das Buch wenn nicht sogar die Schrift als Träger für Wissen und Information obsolet macht. Informationen werden elektronisch gespeichert, die nur mit Hilfe von entsprechender Software angezeigt werden kann. (Vor 10 Jahren auf Lochkarte oder Magnetband gespeicherte Information ist unter Umständen heute überhaupt nicht mehr reproduzierbar und existiert nur mehr virtuell in ihrer Kombination von Bits. So entstehen ganz neue Wissensgegenstände wie Hypertexte, Wissensbasen und Expertensysteme.
Neues Wissen
Neue Wissensstrukturen und neue Wissensorganisation können und werden nicht ohne Einfluß auf die Inhalte bleiben. Schon die stark erleichterte Produktion und der Wegfall der Filter durch Verlage und Druckkosten lassen eine Flut veröffentlichten Wissens zu, das früher privates Wissen geblieben wäre. Scheinen die Probleme der rechtlichen, politischen und ökonomischen Wissensordnung lösbar, so bleiben die Herausforderungen der Wissenserschließung und der Qualitätssicherung.
Für die Erschließung des im Netz verfügbaren Wissens sind technische Hilfmittel, Suchprogramme oder im Jargon Spider, Agenten oder Knowledge Bots in der Entwicklung, die mit der Fülle des im Netz neu plazierten Wissens mehr oder minder Schritt halten können. Der inhaltlichen Qualitätssicherung erwachsen dagegen immer größere Probleme, die wahrscheinlich nur in mehr oder weniger geschlossenen Nutzungsgruppen nach den bisherigen Mustern gelöst werden können. Eine allgemeine Strategie der Qualitätssicherung muß über schlichte rechtliche und formale Regeln hinaus an den kulturellen Ausdehnungen mit ihren Widersprüchen und Reibungen scheitern. In der Universitätsbibliothek erwarten wir nur wissenschaftliches Wissen mit logischer Begründung und klar abgestecktem Geltungsbereich. Im Netz finden wir, wie in einer Bahnhofsbuchhandlung, Wissen jeglicher Art und jeglicher Güte - im globalen Maßstab. Fragen
- der Zusicherung von Qualität,
- der Zusicherung von Authentizität oder
- der Zusicherung von Dauerhaftigkeit
sind ungeklärt.
Die Zusicherung von Qualität wird zum Hauptproblem des vernetzten globalen Wissens. Aus der Form der gespeicherten Dokumente läßt sich kaum auf die Qualität ihres Inhaltes schließen, und die Suchmaschinen finden meist das wertvolle, abgesicherte Wissen ebenso schnell wir das problematische. Allein dem Kopf des Endusers fällt die Aufgabe zu, diese aus dem Entstehungskontext gerissenen Mischungen wieder zu entflechten - und die guten Dokumente ins Töpfchen, die schlechten aber ins Kröpfchen zu sortieren.
Zu den schwierigsten Problemen der Archivierung gehört die Zusicherung der Authentizität und Integrität eines Dokumentes, der Garantie, ein durch Speicherung, Übertragung oder Präsentation unverändertes Dokument vor sich zu haben. In der Welt der Druckmedien war dies durch die Komplexität des Druckverfahrens implizit gesichert; wenngleich Fälschungen möglich waren und sind. Auch in der Welt de Rundfunks und Fernsehens hängt die Zusicherung der authentischen Autorenschaft und der integren Ausstrahlung von den technischen Schwierigkeiten der Produktion und Sendung ab. Im Netz ist dies völlig anders. Dokumente können sehr leicht verändert und verfälscht werden - gelegentlich auch in der guten Absicht der Aktualisierung oder Korrektur. Korrekte Kopie und zugesicherte Autorenschaft verlangen fortgeschrittene kryptografische Maßnahmen: Texte und multimediale Dokumente müssen genauso behandelt werden wie elektronische Vertragsunterschriften oder elektronische Geld. Dies scheint technisch machbar. Allein: Es muß auch gegen politische und rechtliche Einwände faktisch umgesetzt werden.
Nicht zuletzt stellen sich Probleme der Speicherdauer. Eine Garantie der Speicherdauer gibt es nur um den Preis dauerhafter Pflege, zu denen selbstverständlich regelmäßige Backups und Kontrollen gehören - aktive Speicherung also. Und auch dann gilt noch immer Jeff Rothenbergs drohende Mahnung: "Digital Information lasts forever - or five years. Whatever comes first."
Zur Kehrseite der Speicherung ewiger Werte wird im wörtlichen Sinne die Beseitigung des Abfalls, des Mülls, der durch die Entwicklung überholt ist. "Who reads yesterdays papers?" Es gibt keine einfachen Mechanismen, um die Aktualität von Wissen zu prüfen. Dabei wäre zumindest auf der untersten Stufe eine einfach Abhilfe denkbar: Webseiten könnten mit einem Erstellungsdatum und, wichtiger noch, mit einem Verfallsdatum gekennzeichnet werden. Dies ist technisch leicht möglich; aber noch gibt es dies nicht.
Stärker als die vielleicht ja lösbaren technischen Herausforderungen stellt sich die kulturelle Grundfrage des verteilt und vernetzt gespeicherten Wissens. Globalisierung heißt kulturelle Dekontextualisierung. Wissen entsteht bisher in einer Zeit, an einem Ort, in einer Kultur, das Netz ist aber gleichzeitig und überall. Seine kulturelle Vorgaben sind ihm in Kalifornien und Massachusetts mitgegeben worden. Das Netz reißt Wissen in globalem Maße aus seinen zeitlichen und räumlichen kulturellen Kontexten heraus und stellt Wissen unterschiedlichster Güte und Art beziehungslos nebeneinander. Content und Kontext sind freilich nicht unabhängig voneinander und der Verlust des kulturellen Kontextes devaluiert den Inhalt. Zur Herausforderung für die Erziehung im Cyberspace wird es, diesen kulturellen Färbungen, die nicht fest gegeben sind, aber nur um den Preis einer einheitlichen globalen Kultur eliminierbar wären, kulturelle Entzerrungsfilter anzupassen.
Autor: Wolfgang Coy, Auszug aus "Überall und Gleichzeitig", Manuskript eines Vortrages
Andere Berufsbilder/Qualifikationen
Durch die große Nachfrage und Aktualität des Internets entstehen in diesem Bereich immer neue Berufsbilder und Berufsbezeichnungen. Im folgenden seien ein paar dieser neuen Berufsbezeichnungen (ohne den Anspruch auf Vollständigkeit) erwähnt.
- E-Comerce-Fachkraft
- Info-BrokerIn
- Online-RedakteurIn
- Screen-DesignerIn
- Home-Page-Editor
- Webmaster
- Postmaster
- Netmonitor
Andere Erwartungen
"Das Internet verbessert die Lebensqualität." Dieser Meinung ist zumindest der IBM-Vordenker John Patrick, der meint, dass das Internet schnell und einfach zu bedienen sein wird und den Benutzern daher Zeit ersparen wird. Der normale "Arbeitsmensch" hat keine Zeit zwischen neun und fünf Uhr, aber im Internet findet man sicher jemanden, der Zeit hat, wenn man selbst auch Zeit hat. Er findet das Internet noch viel zu kompliziert, doch seine Vision vom Internet der Zukunft ist, dass es schnell und einfach auf die Bedürfnisse der Benutzer reagiert. Internetzugang über Handy, Pager oder tragbaren Radiorecorder mit eingebautem Bildschirm, der auf gesprochene Kommandos reagiert, wird dem Internet zum Siegeszug verhelfen. Außerdem werde das Internet das einzige Medium, über das Informationen übertragen werden: Video-Konferenzen, Radio, TV, Telefongespräche. Trotzdem meint er, werden nicht alle nur mehr vor dem Computer sitzen, sondern viel mehr Zeit für andere Dinge haben.
Andere Weltbilder
Natürlich bietet das Internet-Zeitalter, das als Übergang von der Industrie- zur Informationsgesellschaft gesehen wird, Platz für die verschiedensten Weltbilder. Der Bogen reicht vom "Allgemeinen Zugang zu Wissen und Weisheit" bis zum "Überwachungsstaat".
Oft werden Technologien entwickelt, die den Internetbenutzer zum gläsernen Menschen machen können: Prozessoren, deren Seriennummer von Programmen ausgelesen werden kann, damit ein Webseiten-Besucher eindeutig wiedererkennbar wird. Cookies, welche die persönlichen Vorlieben von Websurfern speichern, können von Firmen abgefragt werden. Daher verwundert es nicht, wenn es Menschen gibt, die durch das Internet den perfekten "Überwachungsstaat" realisiert sehen.
Auf der anderen Seite entstehen durch das Internet eine neue Öffentlichkeit für Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen. Aber auch Minderheiten, die geografisch verstreut leben, können gemeinsam Druck auf die Politik ausüben.
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