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Autoren: Mag. Michael Dobes und Mag. Elisabeth Hopfenwieser; Tutor: Stephan Wright

Soziales und Kommunikation


Soziale und gesellschaftliche Veränderungen

Das Internet ermöglicht seinen Nutzern, wesentlich häufiger und schneller auf Nachrichten zu reagieren; dies bewirkt aber auch eine wesentlich kürzere Bedenkzeit und mehr Stress durch den Zwang zu schnelleren Entscheidungen. Nur bei älteren technisch-vermittelten Kommunikationsmitteln wie dem Briefverkehr und der Telefonkommunikation tritt eine Substitution durch die Computer-vermittelte Kommunikation auf.

Die neuen Kommunikationsmedien eröffnen durch ihre speziellen medialen Qualitäten eher neue Kommunikationschancen und erweitern die sozialen Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten. Die Kommunikation mit weit entfernten Nutzern über viele Zeitzonen hinweg oder mit Personen, deren Aufenthaltsort oft wechselt, wird durch die bessere Erreichbarkeit erleichtert. Jugendliche können gleichberechtigt mit Erwachsenen reden, man kann mit der eigenen Identität spielen (Geschlecht, Rasse, Alter wählen), mit eigenen Informationsangeboten ein internationales Publikum erreichen, politische Aktionen organisieren, etc.. Solche Aktivitäten im Netz erfordern von den Nutzern soziale Kompetenzen.

Eine Reihe von Untersuchungen widerlegt Vermutungen, dass diese Kommunikationstechniken die Vereinsamung, Entfremdung und Vereinzelung der Menschen (cocooning) fördern. Die virtuellen Realitäten führen keineswegs zur Realitätsflucht oder dem Rückzug aus sozialen Beziehungen und verbindlichen zwischenmenschlichen Beziehungen, zugunsten von austauschbaren, unverbindlichen Telekontakten. So werden durch die Computer-vermittelten Kommunikationen keine direkten Gespräche von Angesicht-zu-Angesicht, sondern nur andere technisch-vermittelten Kommunikationen substituiert. Laut dieser Untersuchungen sind Netznutzer sozial gut integriert. Umfragen unter Internet-Nutzern ergaben, daß ein Großteil von ihnen durch die Nutzung der Computer-vermittelten Kommunikation den Bekanntenkreis erweitert und die Kommunikationsfrequenz gesteigert hat. Bei den meisten Nutzer entsteht der Wunsch, die Kommunikationspartner auch persönlich zu treffen. Der Stereotyp des Computer-Vielnutzers, der kontaktscheue, sozial gestörte Mensch, der nächtelang vor dem Bildschirm verbringt, kann also nicht gehalten werden.

Menschen werden bei der Online-Kommunikation sehr viel intimer und offenbaren sich schneller als im wirklichen Leben. Die Distanz bei Computer-vermittelter Kommunikation fördert die Sehnsucht nach Nähe und die Schnelligkeit der Kommunikation erzeugt einen Rausch. Dieses Phänomen wird von Psychologen als beschleunigte Selbstoffenbarung (rapid intimacy) bezeichnet. Computer-vermittelte Kommunikation regt durch ihre scheinbare Isolation von den sozialen Kontexten zur Offenheit an. Die sozialen Regeln die bei Angesicht-zu-Angesicht-Beziehungen wirken, sind schwächer oder fehlen sogar ganz. Die Ersetzung von Ausdrucksmöglichkeiten durch Zeichenfolgen ist nur sehr eingeschränkt möglich. Die nonverbalen Signale bieten weitaus feinere Abstufungen und sind effektiver. Die gewollte Selbstdarstellung wird dadurch erschwert.

Die Anonymität senkt zusätzlich die Hemmschwelle, andere vor den Kopf zu stoßen. Bei Newsgroups handelt es sich um eine öffentliche Darstellung vor einer anonymen Mitleserschaft im Hintergrund mit dem Risiko, vor einer prinzipiell weltweiten Öffentlichkeit bloßgestellt zu werden. Dies ruft besondere Verteidigungsmechanismen hervor. Bei der Beteiligung von mehreren Personen kann es so leicht zu einem Aufschaukeln der Gefühle kommen. Die Gegner begraben sich unter Schimpfwörtern und ungerechtfertigten Anschuldigungen. In realweltlichen Begegnungen würden Äußerungen wohl nicht in dieser Schärfe verwandt werden. Die persönliche Identität des Absenders und Empfänger ist aufgelöst.

In einer Untersuchung aus dem Jahr 1995 wurde im Gegensatz zum zuvor beschriebenen festgestellt, dass die Computer-vermittelte Kommunikation von hoher Achtung und Respekt gegenüber abweichenden Meinungen geprägt ist, und verbale ‘Entgleisungen’ nicht toleriert werden. Viele Nutzer empfinden 'Flames' als lästig oder sogar als Regelverstoß. Möglicherweise hat sich das durch die viel größere Zahl der Nutzer und das dadurch gesunkene Bekanntsheitmaß einzelner verändert.

Das Internet ist ein zeitgemäßes Medium, das jede erdenkliche Information ungefiltert und unsortiert bereithält. Die Nutzer finden leichter und schneller spezifische Informationen. Durch die Unstrukturiertheit des Netzes kann es jedoch leicht zu einer Informationsüberflutung (information overload) kommen. Sie entsteht, wenn der Nutzer zuviel ungefragte Informationen an nimmt. Er ist dann nicht mehr in der Lage die Informationsmenge in einer angemessenen Zeit zu selektieren und zu verarbeiten. Die individuelle Lesegeschwindigkeit und die kognitive Komplexität begrenzen die Informationsverarbeitungskapazitäten.

Wichtig für den Umgang mit dem Internet ist das Erlernen von Entscheidungsfähigkeit. Die Informationen müssen schnell überflogen und nach Wichtigkeit gefiltert werden. Große Mengen an Informationen müssen übersprungen werden, wenn sie unwichtig erscheinen. Es zeigen sich zwei Symptome der Internet-Sucht bei vielen Nutzern. Sie sind häufig länger, als sie ursprünglich wollten, im Netz, und manchmal surfen sie, obwohl sie Wichtigeres zu erledigen hätten. Auch viele Neueinsteiger zeigen in der ersten Zeit Symptome einer ‘Internet-Sucht’. In den allermeisten Fällen erlöscht diese Faszination nach einigen Wochen wieder und das Internet wird zunehmend sinnvoller genutzt. Internet-Abhängigkeit scheint ein vorübergehendes Phänomen zu sein, das automatisch auftritt, wenn ein neues Medium zum Spielen, Tüfteln und Ausprobieren einlädt. Es gibt keine Hinweise auf ein allgemeines Problem der ‘Internet-Sucht’, obwohl sie in Einzelfällen schon aufgetreten ist. Die Computer-vermittelte Kommunikation ist nicht nur ein neues Kommunikationsmedium. Sie erschafft durch ihre spezifischen medialen Charakteristika Kommunikationsräume, in denen sich die Menschen zu neuen Formen von Gemeinschaft zusammenschließen. Diese virtuellen Gemeinschaften ermöglichen es, Erfahrungen, Beziehungen, Identitäten und Lebensräume zu erzeugen, die ausschließlich aus der Interaktion mit der Computertechnologie hervorgehen. Die Gruppenmitglieder stammen aus allen Teilen der Welt und haben sich noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen und werden dies vielleicht auch nie. Von der Sozialpsychologie wurde bisher für die Gruppenbildung die direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht als wichtigste Voraussetzung angesehen, was bei virtuellen Gemeinschaften nicht erfüllt ist. Der Aufenthalt in den virtuellen Welten hat auch Konsequenzen für die Identität der Nutzer. Niemand kehrt von den Ausflügen in eine gepixelte, pseudo-phantastische Welt zurück als der, der er war. Es ist eine menschliche Konstante, beeinflußbar zu sein. Im Internet ist es möglich, unabhängig vom Aussehen in alternative Identitäten zu schlüpfen und die eigenen Phantasien in Kunstwelten zu projizieren. Die virtuellen Welten können zu einem Übungsfeld für Identitäten werden. Für einen Großteil der Menschen gibt es im realen Leben dazu keine Möglichkeit.

Weiterführende Informationen


>[ Artikel über das Buch Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet von Sherry Turkle] Darin beschreibt Turkle Veränderungen für die Identität der Menschen durch Computer und das Internet

>[Sozialpsychologische Aspekte von Computer-vermittelter Kommunikation] Seminararbeit von Detlef Kaenders

>[Computertechnologie und neue Formen mikrosozialer Interaktion] Seminararbeit von Christoph Brönnimann

>[Kommunikation im Internet - Chatten im IRC als Form des Gesprächs] Magisterarbeit von Susanne Krause

>[Die Entwicklung neuer Öffentlichkeiten im Internet] Hausarbeit von Julian Kücklich

>[Netiquette] Link auf das englische Buch Netiquette von Virginia Shea

>[Netiquette] Netiquette für österreichische Newsgroups

>[Netiquette] Netiquette für deutsche Newsgroups

>[Telearbeit und Virtuelles Büro] Hausarbeit von Claudia Winterboer


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