Die veränderten wissenschaftlichen Informationsflüsse
und ihre Auswirkungen auf die "Fachinformation" in der Neuen
Wissensordnung
Am Anfang der modernen Wissensverfaßtheit steht die Geburt des Autors und mit ihm seit der Aufklärung die Herausbildung vieler intermediärer Instanzen des wissenschaftlichen Kommunikationsprozesses. Am Anfang der neuen Wissensordnung, stehen nun genau diese Kategorien zur Disposition. Als ein Hauptproblem wird wiederholt das exponentielle Wachstum des gesamten Wissensbestandes sei es als Informationsflut, -berg oder -entropie beschrieben. Durch die Schaffung von übergeordneten, zusammenfassenden Informationssystemen konnte das Fachinformationssystem bisher angemessen auf diese Entwicklung reagieren. Es entstanden wissenschaftliche Zeitschriften aufgrund der zunehmenden Zahl der am wissenschaftlichen Diskurs zu beteiligenden Personen. Als auch deren Zahl zu groß wurde, übernahmen Referateorgane und Bibliographien die Funktion der Orientierung. Und schließlich entstanden regelrechte (meist technikbasierte) Informationssysteme, die hierzu wiederum eine Metaposition einnahmen. Mittlerweile erreicht die Zahl der elektronischen Informationssysteme und Datenbanken wieder eine Dimension, die die Entwicklung von Metadatenbanken notwendig erscheinen läßt.
Das System der Informationsversorgung mit wissenschaftlicher Information ("Fachinformation", specialised information) reagiert offensichtlich angemessen auf das Problem der Informationsüberlast. Es scheint sich auf einen einfachen Nenner bringen zu lassen: "Die Informationsexplosion ist bei näherem Hinsehen eine Dokumentenexplosion." Dabei wird zwar - m.E. ein klassischer Topos - darauf hingewiesen, daß der Informationsgehalt der "Dokumente" abnimmt. Der Begriff "Dokument" vermittelt in diesem Zusammenhang aber den Eindruck, daß es sich in erster Linie um ein quantitatives Problem handeln könne.
Wir sind jedoch nicht mehr nur mit der Vermehrung der zu speichernden und wiederaufzufindenden Information konfrontiert, sondern mit entscheidenderen Veränderungen qualitativer Art. Die Diskussion um die aktuellen Bedingungen des Informationszeitalters bringt sie mit dem Diktum vom "Ende der Gutenberggalaxis" auf den Punkt. Es soll andeuten, daß wir vor einem Medienwechsel stehen, wie er ähnlich mit der Erfindung des Buchdrucks stattfand, der aber nun das Buch wenn nicht gar die Schrift als Träger für Wissen und Information obsolet macht. War das Buch noch ein statischer (verläßlicher) Träger von Information, so ist der Computer lediglich Algorithmus, dynamischer Veränderer von elektrischen Zuständen. Damit einher geht der Verlust des klassischen Dokumentcharakters: "Elektronische Publikationen haben keine differenzierte, äußere Form und Existenzweise. Sie existieren nur in der Nutzung, die nur vermittels Software-Nutzungshilfen möglich ist." Nicht mehr Jahrtausende alte Konventionen der Kodierung von Sprache auf Papier sind die Schlüssel zur Information, sondern mehr oder weniger willkürliche technische Prozeduren zur Repräsentation von Zeichen in elektrischen Zuständen. Vor zehn Jahren auf Lochkarte oder Magnetband gespeicherte Information ist unter Umständen heute überhaupt nicht mehr reproduzierbar und existiert nur noch "virtuell" in ihrer Kombination von Bits.
Die sich durch die neuen technischen Möglichkeiten ergebenden Veränderungen des Phänomens Information haben konkrete Auswirkungen auf die Praxis der Wissensproduktion und kommunikation. So entstehen gänzlich neue Wissensgegenstände wie Hypertexte, Wissensbasen, Expertensysteme, Software etc. Der Dematerialisierung der Information entspricht eine Delinearisierung und Vernetzung von "Dokumenten", die die bisher starren Grenzen der Textproduktion als Basis der Wissenschaftskommunikation überschreitet.
"Das entscheidende Charakteristikum des Docuverse ist 'intertwingularity' - Verflechtung, Vernetzung, Rhizom. Es gibt keine Einzelgegenstände des Wissens, Subjekte so wenig wie 'subjects', also Objekte; es sind nur Knotenpunkte unzähliger Querverbindungen, Gatter und Netze. Und weil diese Datenketten keine ersten und letzten Elemente mehr kennen, schließen sie sich zu ineinander verschränkten Ringen - 'hypertorus'. Wissensdesign kann sich deshalb auch nicht mehr an der Pyramide der alteuropäischen Wahrheit orientieren [...]. Und in der Tat verwischen sich im postmodernen Universum der Dokumente die Grenzen zwischen Weltkomplexität und Beziehungswahn, seit das Wissensdesign radikal von Referenz auf Intertextualität umgestellt hat." (Norbert Bolz)
Dieser Innensicht des sich verändernden Phänomens Information stehen vergleichbare, sichtbarere Tendenzen auf der Seite der Kommunikation gegenüber, die ebenfalls mit dem Stichwort Vernetzung beschrieben werden können. Die zunehmende Präsenz von Personal Computern an den wissenschaftlichen Arbeitsplätzen, die über das local area network (LAN) mit internationalen Computernetzen verbunden sind, läßt neue Formen der Wissenschaftskommunikation entstehen. Die Möglichkeit weltweit quasi in Echtzeit, aber doch - im Gegensatz zum Telefon - unabhängig von Zeitzonen oder der Anwesenheit des Kommunikationspartners, Nachrichten per electronic mail austauschen zu können, eröffnet neue Dimensionen für das global village der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft.
Ähnlich wie die Vernetzung des Wissens in Hypermedien hat die Vernetzung von Wissenschaftlern weitreichende Konsequenzen auf die zugrundeliegenden Basisstrukturen der Kommunikation. Das neue Kommunikationsmedium überwindet nicht nur mühelos Staats- und Disziplingrenzen, sondern auch Barrieren institutioneller, hierarchischer Art. Anders als bei der normalen vis-à-vis-Kommunikation (oder beim Telefonieren) entfällt hier ein großer Anteil non-verbaler Signale, so daß die Kommunikation auf den Inhalt konzentriert wird und die Frage nach Status und Beziehung der Gesprächspartner unbedeutend wird (es sei denn, sie wird regelrecht thematisiert). Speziell für den Wissenschaftsbereich räumt man den neuen Kommunikationsverhältnissen große Potentiale ein. Die Entstehung eines neuen, wirklich demokratischen Wissenschaftsdiskurses wird erwartet.
In den neuen elektronischen Kommunikationsmedien sind schließlich auch formalisierte Verfahren der wissenschaftlichen Kommunikation und "Publikation" entstanden. Über automatisierte Adreßverteiler haben sich regelrechte, kontinuierliche wissenschaftliche Konferenzen, Diskussionsforen (discussion lists) etabliert, deren Kommunikationssituation auch schon mal mit Platons Akademie verglichen wird. Andererseits können hier die jeweiligen Diskussionsbeiträge teilweise die Funktion von wissenschaftlichen Publikationen erhalten, weil fast alle Diskussionen mitgeschnitten, archiviert und (weltweit) durchsuchbar (recherchierbar) gemacht werden. Eine weiterentwickelte Form der elektronischen wissenschaftlichen Publikation sind electronic journals, Zeitschriften, die ausschließlich elektronisch publiziert werden.
Elektronische Artikel bzw. jede Art elektronischer Texte oder maschinenlesbarer Informationssammlung können jedoch auch unabhängig von solchen formalen Kommunikationswegen im Netz publiziert werden, indem sie auf einem "Server" abrufbar hinterlegt werden. Die Zahl von Computern, die solche Server-Funktionen übernehmen und die Möglichkeit bieten, Dateien oder Software unentgeltlich herunterzukopieren, hat in der letzten Zeit derart zugenommen, daß technische Systeme entwickelt wurden, die einen vereinfachten weltweiten Zugriff auf solche Informationsquellen in den meisten Computernetzen ermöglichen. Mit Hilfe solcher Instrumente lassen sich Dateien und Texte weltweit suchen bzw. in selbst konstruierte Informationssysteme einbinden.
Es sind in wenigen Jahren komplette elektronische Parallelstrukturen zum herkömmlichen, papiergestützten Wissenschaftssystem entstanden. Im Grunde kann elektronisches Publizieren schon jetzt die wesentlichen Funktionen des wissenschaftlichen Publizierens prinzipiell übernehmen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, daß die momentan noch existierenden Probleme wie Zitierbarkeit oder Integrität und Wiederauffindbarkeit der Originalinformation gelöst werden. Andererseits herrschen hier bisher im Prinzip die gleichen Strukturen wie im herkömmlichen Wissenschaftssystem: wirklich qualitativ gesicherte wissenschaftliche Aussagen finden sich in erster Linie in Publikationskontexten, die einem reviewing-Verfahren oder zumindest einer nachträglichen Qualitätskontrolle unterliegen.
Das wirklich Neue liegt in den oben angedeuteten grundsätzlichen Strukturänderungen: in der Auflösung des Dokumentbegriffs durch die parzellierte Vernetzbarkeit von Einzelinformationen und in der Veränderung der wissenschaftlichen Kommunikationsstrukturen allgemein. Traditionell gesprochen läßt sich eine ungeheure Zunahme an "Grauer Literatur" beobachten, verbunden mit dem Phänomen, daß diese Graue "Literatur" meist ungemein flüchtig (löschbar), parzellierbar und oft unautorisiert ist. Der von Spinner und anderen konstatierte Verlust der Forscherpersönlichkeit und die Verlagerung der Urheberschaft von Wissensproduktion in die weltweite Forschergemeinschaft, läßt in diesen elektronischen Diskussionsforen hautnah, pardon: am Bildschirm, beobachten.
Die Konsequenzen für die wissenschaftliche Informationsarbeit werden schon auf dieser rein physischen Ebene klar. Die Schwierigkeiten der Identifikation, Lokalisierung und Evaluierung von Informationselementen nehmen mit den (z.Zt. noch) stark der Beliebigkeit ausgesetzten elektronischen Informationsmedien exponentiell zu. Der Fachinformation geht es aber darüberhinaus nicht allein darum, eine bekannte, benennbare Informationseinheit wiederzufinden - das ist Aufgabe von Bibliotheken -, sondern vor allem darum, Wissen für ähnliche inhaltliche Fragestellungen mit gänzlich neuen Kontexten in Verbindung bringen zu können. Das heißt, das Wissen muß nicht nur rematerialisierbar, "erinnerbar" sein, es muß vor allem inhaltlich auf neue Situationen beziehbar sein. Das setzt voraus, daß es inhaltlich strukturiert und so universell beschrieben ist, daß es im Zusammenhang mit neuen inhaltlichen Fragestellungen gefunden werden kann. "Dabei geht es nicht nur um die Wissensrepräsentation in einem einzelnen Speicher. Vielmehr geht es auch um die Menge aller (auf der ganzen Welt) vorhandenen Wissensspeicher, die strukturiert sein muß." (Lenk) Diese auch als das allgemeine "IuD Problem" bezeichnete Grundbedingung der Fachinformation wird offensichtlich unter den neuen Bedingungen elektronischen Publizierens weiterhin verschärft.
Die Hoffnung, daß sich der inhaltliche Retrieval-Prozeß mit Hilfe der Informationstechnik automatisieren ließe, trügt. In absehbarer Zeit wird es keine künstliche Intelligenz und kein Expertensystem geben, die dem wissenschaftlichen Dokumentar die wesentlichen Informations-Verdichtungsleistungen abnehmen kann. Es sind zwar schon sog. Knowbots (Knowledge Roboter) im Einsatz, aber auch deren Aktivitäten fußen auf vorhandenen intellektuellen Strukturierungsleistungen.
Andererseits kann aus verschiedenen Gründen diese dokumentarische Beschreibung der Information nicht dem Produzenten selbst überlassen werden. Zum einen verfügt der Autor in den meisten Fällen nicht über die Kenntnisse der formalen, inhaltserschließenden Sprachen, die ein standardisiertes Retrieval ermöglichen, und zum anderen fällt aufgrund der Tatsache, daß Information immer anwendungsbezogen ist, die Beschreibung eines Textes durch den Autor selber meist spezifisch unter die Anwendung "Public Relation". Die meisten Autoren-Abstracts sind buchtechnisch gesprochen reine "Klappentexte", die zum Kauf des häufig noch in Folie verschweißten Buches anregen sollen.
Dennoch gehen Verlage und Zeitschriften vielfach dazu über, von den Autoren die inhaltliche Erschließung in Form von Abstracts und sogar durch die Vergabe von Schlagworten zu verlangen, ohne sich allerdings über den dokumentarischen Stellenwert dieses Materials im Klaren zu sein. Im Gegenteil, das Vorhandensein dieser datenbankspezifischen Elemente (Abstract und Schlagworte) verleiten sie dazu, klassische Rollen von Datenbankproduzenten zu übernehmen unter mehr kommerziellen als dokumentarischen Gesichtspunkten. Die Folgen für die Fachinformation sind katastrophal. Weder sind die dokumentarischen Deskriptionen der Information standardisiert noch sind sie universell einsetzbar, so daß selbst die recall-Rate äußerst fraglich ist. Leidtragende sind nicht nur die Nutzer dieser kaum strukturierten (und teueren) Informationsberge, sondern ist vor allem das Ansehen der Information als solcher.
Die Aktivitäten von Verlagen im neuen Umfeld elektronischer wissenschaftlicher Kommunikation gehen jedoch noch weiter. Sie übernehmen vollkommen neue Funktionen in der Wissenschaftskommunikation, wenn sie etwa das bei dem Buchproduktionsprozeß automatisch anfallende maschinenlesbare Informationsmaterial ihres Hauses mit Hilfe der neuen informationstechnischen Medien electronic mail und Computernetz wiederverwerten. "Elektronisches Publizieren" umfaßt demnach nicht nur die veränderten Kommunikationsmöglichkeit in der neuen elektronischen Wissenschaftswelt, sondern grundsätzlich jenes "Bündel von Technikanwendungen, mit dem sich eine völlig veränderte Organisation der Fachinformationsversorgung realisieren läßt. In ihr könnte z.B. auf Verlage entweder ganz verzichtet werden oder diesen könnten völlig neue Funktionen zukommen." (Lenk) Wie jede textorientierte Tätigkeit sind mittlerweile auch alle Vorgänge in einem Verlag computergestützt, so daß es wirklich nur eines Knopfdrucks bedarf, um aus einem Buchmanuskript eine Volltextdatenbank zu machen.
Nicht nur die Verlage, alle an der Wissenschaftskommunikation beteiligten intermediären Akteure sehen derzeit ihre Position und Funktion einem Wandlungsprozeß unterworfen:
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Verlage, die Wissen marktorientiert auf Medien bringen
Buchhandel, der die Medien marktorientiert verbreitet
Bibliotheken, die diese Medien systematisch archivieren
Dokumentationsstellen, die Wissen systematisch erschließen
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Intermediäre Akteure der Wissenschaftskommunikation
Die Verlage entdecken neue Medien ("Informationsträger") für das zu vermarktende Wissen, der Buchhandel benutzt diese Medien für die mit seiner Dienstleistung verbundene Disseminationstätigkeit, und für die Bibliotheken ergeben sich neue Perspektiven der Archivierung bzw. Erschließung neuer Informationsspeicher weltweit. Allen gemeinsam sind die oben beschriebenen veränderten Grundbedingungen des Produktionsprozesses von "Dokumenten". Die "Information und Dokumentation" läuft dabei Gefahr, zwischen den marktorientierten Akteuren und dem öffentlichen Infrastrukturauftrag der Bibliotheken keinen Platz mehr zu finden, obwohl doch gerade in der neuen Situation weiterführende Zusatzaufgaben für die Fachinformation lägen.
Auch wenn sich alle beteiligten Akteure - bis hin zum Rezipienten - den neuen Informationsstrukturen in Zukunft anpassen müssen, ihre kommunikativen Grundfunktionen werden sie behalten. "Die Bedeutung des in der Informationserarbeitung für Zielgruppen steckenden 'Mehrwerts' ist eine andere als die des Bereithaltens und Vertreibens von Werken, in denen Autoren der Menschheit ihr Vermächtnis übergeben wollen. Beides ist heute Betätigungsfeld der Verlage, aber die Gewichte verlagern sich." (Lenk)
Das oben erwähnte Beispiel der Sicherung wissenschaftlicher Standards auch bei elektronischer Publikation zeigt, daß auf eine evaluierende Funktion in der Fachkommunikation nicht verzichtet werden kann. Diese ist bei den Verlagen traditionell durch deren Lektorate bzw. letztlich durch den Geschäftserfolg gewährleistet. Die Wissenschaft selber braucht als primär nicht marktorientierter Akteur eine externe systematische Archivierungs- und Nachweisinstanz. Der einzelne Wissenschaftler kann dies, wie wir gesehen haben, weder als Produzent noch als Rezipient von Fachinformation selber leisten, selbst wenn sich auch hier viele Funktionen verlagern werden. Das systematisierende und strukturierende Know-how der wissenschaftlichen Dokumentation wird in Zukunft noch dringender benötigt zur Strukturierung und Erschließung der sich elektronisch auflösenden "Dokumenten"-Welt. Fachinformationsarbeit wird sich vom starren Begriff der in rechteckigen Datenbanken gespeicherten "Dokumentationseinheiten" lösen und eine tragende Rolle bei der Strukturierung der in Computernetzen flukturierenden Information übernehmen müssen. (Nur der Vollständigkeit halber sei hier daran erinnert, daß der Dokumentbegriff auch in den Computernetzen schon multimediale Dimensionen angenommen hat, die Fachinformation also auch zunehmend mit nicht textuellen Informationen befaßt sein wird, was die Beschreibungs- und Strukturierungsprozesse nicht gerade vereinfacht.)
Entgegen der Rede von der Objektivität der Dokumentation und im Gegensatz zum "Vollständigkeitssyndrom" (Spinner) der Bibliothekswelt, hat die Fachinformation schon immer ein Mittel gegen die Informationsüberlast gehabt: Evaluation und Erschließung bedeutete ihr immer auch die Entscheidung über die Wissenschaftlichkeit einer Information. Genau dieses Charakteristikum der Dokumentationsarbeit wird durch die elektronische Wucherung von Information und wissenschaftlicher Kommunikation zunehmend gefordert.
Auch aus grundsätzlichen gesellschaftlichen Überlegungen heraus kann auf die unabhängige Funktion der Fachinformation nicht verzichtet werden. Die Rede von der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Lebenswelt (Postman) oder der Aufhebung der Trennung von Wissenschaft und Meinung (Spinner) deutet darauf hin, daß der informationsaufarbeitenden Tätigkeit der Dokumentation eine besondere gesellschaftliche Rolle zukommt. Dokumentation als wissenschaftliche Gedächtnisleistung bekommt fast den Stellenwert einer kulturgründenden Funktion, wie derzeit in den osteuropäischen Ländern zu beobachten ist. Zumindest sind ihr grundlegend demokratische Züge nicht von der Hand zu weisen: erst durch Strukturierung, Verdichtung des Wissens können mehr als nur die betroffenen Wissenschaftler von dem Wissen profitieren.
Die zunehmende Ausdifferenzierung der Wissenschaft unterstreicht zusätzlich die Bedeutung einer ordnenden und Überblick verschaffenden Instanz. Die Institution Wissenschaft selbst ist offensichtlich nicht in der besten Verfassung: "Die Einheit von Lehre und Forschung, die sich in gediegenen, zusammenfassenden Lehrbüchern ausdrücken müßte, ist erheblich gestört. [...] Die Wissenskondensation, die die Universität eigentlich leisten müßte, ist faktisch delegiert an den Wissenschaftsjournalismus." (Lenk) Sollte auch die Fachinformation ausschließlich marktorientierten Akteuren überlassen werden, so ist die Basis wissenschaftlich-technischer Tätigkeit also nicht nur vor dem Hintergrund der neuen Informations- und Kommunikationstechniken tangiert.
Es ist schon viel über die sich verändernden Strukturen der Fachinformation und ihren Regelungsbedarf geschrieben worden. Grundsätzlich gilt jedoch bis auf weiteres die Aussage des Fachinformationsprogramms der Bundesregierung: "Die Fachinformationseinrichtungen haben die Aufgabe, subsidiär dort, wo privatwirtschaftliche Einrichtungen (z.B. Verlage) nicht oder noch nicht tätig sind, wichtige Informationsdienstleistungen zu gewährleisten und diese über alle Vertriebswege [...] entgeltlich anzubieten." (BMFT) Das heißt explizit, es ist politisch gewollt, daß Verlage die Funktion der Dokumentation mitübernehmen. Auch der Blick über den Teich ist in diesem konkreten Kontext recht aufschlußreich. Belegt doch das persönliche Engagement des US-Präsidenten Clinton und seines Vize Al Gore "das neu erwachte Interesse an der Informationspolitik als wichtige[m] Mittel zur Stärkung der Wettbewerbsposition der amerikanischen Industrie an sich." Dort wird der Ausbau der "National Information Infrastructure" zwar vorwiegend, aber nicht ausschließlich dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen, wohl wissend, welcher Wettbewerbsvorteil im Wirtschaftsfaktor Information steckt.
"Zur Debatte steht [...] die Verschränkung von Ideen- und Interessenlagen im Informationszeitalter, anstelle ihrer Trennung im Rahmen der Klassischen Wissensordnung." (Spinner) Wenn hier gerade angesichts der fundamentalen Änderungen der Bestandteile der wissenschaftlichen Kommunikation und des Fachinformationsprozesses für eine "klassische" Entflechtung der Dokumentation aus wirtschaftlichen Interessenlagen plädiert wird, so geschieht dies in erster Linie im Sinne einer Wissenschaft als wichtiger Produktivkraft einer Kultur. Der große Stellenwert qualitativ hochwertiger Information für eine gut funktionierende Wissenschaft, ja für eine ganze Gesellschaft, kann nicht oft genug betont werden. Das soll nicht heißen, daß Information nicht ihren Preis hat - im Gegenteil. Den wirklichen Wert von Information jedoch bewußt zu machen, ist eine vordringliche Aufgabe nicht der Forschungs, sondern der Bildungspolitik.
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